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Einzelkindsyndrom

    Ja, ich bin Einzelkind. Ich war es, als es noch nicht so verbreitet war.

    Als es fast wie eine Krankheit klang, der Tonfall war der gleiche von „sie leidet unter verschiedenen Allergien.“ Oder es gab die Verwöhnnummer „Sie ist für ein Einzelkind aber sehr gut erzogen!“ Das war ein gängiger Kommentar. Und meine Eltern nickten mit einem idiotischen Gesichtsausdruck. Als ich mal trotzig war, sagte auch meine Babysitterin, „ das ist normal… bei Einzelkindern.“

    Für mich war es als Kind irgendwie etwas besonders, hatte immer meine Ruhe, konnte mit 3 Jahren große Häuser aus Spielkarten bauen, genoss eine gewisse Narrenfreiheit und entwickelte eine gute Phantasie, um mir auf dem Speicher meiner Oma imaginäre Freunde zu zaubern. Es war meistens schon OK. Also besser als Allergien, auf jeden Fall.

    Später wurde es mir irgendwie klar, dass ich immer im Visier war, dass es kein Plan B geben konnte, dass die kleine Prinzessin gar keine andere Wahl hatte, als Miss Perfektion zu werden. Wie anstrengend. Wie unmöglich. Und die Kartenhäuser wurden mit 15 ganz schön langweilig. Meine Gastfamilie in Irland mit 5 Kindern plus deren Freunde und Gastkinder war damals mein Kontrastprogramm. Wenn es einem langweilig wurde, musste man nur in die Küche gehen. Es war wie ein Geschenk.

    Nun habe ich meinen Kindern, Zauberpflaume und Zauberpfläumchen, je das Geschenk einer Schwester gemacht. Mein Einzelkindgewissen ist also beruhigt.

    Zauberpflaume geht nun eine Woche auf Klassenfahrt. Zauberfläumchen, die gar nicht weiß, was Ruhe und privates Eigentum bedeuten, fängt an, sie zu vermissen – schon lange bevor die Packliste der Schule für die Klassenfahrt abgearbeitet werden kann. Ich bin gespannt, wie es sein wird und sehe mich schon, „Märchenland“ (Zauberpfläumchens Lieblingsspiel) täglich dreimal zu spielen.

    Kaum sind die Stimme von Zauberpflaume und ihrem Papa im Treppenhaus Richtung Schule verschwunden, scheint es Zauberpfläumchen dann aber wieder gut zu gehen. Endbilanz nach der Woche: Meine kleine Tochter spielte mit allem, was sie sonst nicht anrührt. Probierte alles aus, wozu ihre Schwester nie Lust hat. Sie lachte und sang. Zauberpfläumchen ist es nie so gut gegangen. Märchenland wollte sie gar nicht spielen. Ich bin mit ein paar Runden Uno billig weg gekommen. Und sie hat keine Kartenhäuser gebaut.

    Foto: Das Mädchen mit den Dominosteinen

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