Natürlich weinen Babys, wenn sie Hunger oder Durst haben oder wenn die Windeln voll sind. Die meisten lassen sich schnell wieder beruhigen, wenn ihre Bedürfnisse gestillt sind. Aber es gibt auch Säuglinge, die nahezu „rund um die Uhr“ quengeln und schreien.
Was ist nur los mit solchen Schreibabys? Was hilft den Kindern und ihren gestressten Müttern und genervten Vätern? Wie sinnvoll ist eine Säuglings-Eltern-Therapie?
Lukas kam auf die Welt und sechs Tage lang schien alles in Ordnung zu sein. Doch als in der Nacht Wolken am Himmel aufzogen und es zu regnen anfing, reagierte der Kleine mit einem „Donnerwetter“: Er weinte und schrie und kam nicht mehr zur Ruhe. Und Lukas quengelte und schrie weiter. Am Tag und in der Nacht. Mal zehn Minuten, mal drei Stunden lang. „Er hat viel gebrüllt, und das fast neun Wochen lang“, erzählt Maria Jahns (*Name geändert), die Mutter von Lukas, die ihren Sohn die meiste Zeit allein erzieht, weil ihr Mann beruflich viel im Ausland arbeitet.
„In den ersten Lebensmonaten war er manchmal rot und blau angelaufen vor lauter Schreien. Ich dachte, er bekommt keine Luft mehr“, erzählt die 41 Jahre alte Mutter, die alles ausprobierte, um ihren Sohn zufrieden zu stellen. Hat er Hunger oder Durst? Sind die Windeln nass? Hat er Blähungen? Ist ihm nur langweilig, will er spielen? Ist er so übermüdet, dass er nicht einschlafen kann? „Das einzige, was geholfen hat, war ihn zu tragen. Aber jedesmal, wenn ich ihn hinlegen wollte, fing er wieder an zu brüllen.“
Viel zu wenig Schlaf
Tagsüber schlief der Kleine höchstens eine halbe bis maximal eine Stunde lang – schon das leiseste Geräusch weckte ihn wieder auf. Lukas quengelte und schrie, und auch nachts gab er nur für maximal fünf Stunden Ruhe – statt den sonst üblichen 16 Stunden Schlaf kam er nur auf zehn. Ebenso wie Lukas bekam auch seine Mutter nicht genügend Schlaf: „Das Schreien war wie eine Foltermethode für mich“, erzählt Maria Jahns
Drei Stunden lang Geschrei
Heutzutage sprechen Wissenschaftler vom exzessiven oder vom übermäßigen Schreien, wenn ein Baby an drei aufeinander folgenden Tagen länger als drei Stunden unstillbar und scheinbar grundlos quengelt und schreit und sich dies über mehr als drei Wochen wiederholt.
Ob es sich bei einem Säugling um exzessives Schreien handelt oder nicht, hängt aber nicht nur mit der Schreidauer zusammen. Denn in die Definition wird auch die Situation der Mütter und Väter einbezogen: Denn vom unstillbaren Schreien spricht man auch dann, wenn sich die Eltern durch das Gebrüll ständig unter Stress gesetzt fühlen und psychische und/oder körperliche Probleme bekommen.
Heute weiß man, dass Babys, die exzessiv schreien, Probleme mit der Organisation des Schlaf-Wach-Rhythmus haben: Sie können schlecht einschlafen und bekommen deshalb zu wenig Schlaf. Fachleute bezeichnen das als „Regulationsstörungen der frühen Kindheit“. Häufig kommt zum exzessiven Schreien hinzu, dass es schwierig ist, diese Babys zu füttern. Die Angaben, wieviele Babys unstillbar schreien, schwanken – der Anteil beträgt zwischen zehn und 29 Prozent der Kinder.
Wer bietet Hilfe für einen solchen Fall und was erwartet Eltern und Kind dort? Anlaufstellen für Eltern mit Babys, die unstillbar schreien, gibt es in vielen Großstädten und auch in kleineren Orten bieten speziell ausgebildete Ärzte, Hebammen und Therapeuten mittlerweile Hilfe an. In diesen sogenannten Schreiambulanzen finden erschöpfte Eltern mit ihren Babys Hilfe.
Schreiprobleme frühzeitig behandeln
Schreiprobleme von Säuglingen und Kleinkindern sollten frühzeitig behandelt werden. Denn Untersuchungen zeigen immer wieder, dass Babys, die exzessiv schreien, früher oder später auch Schlafstörungen und Probleme mit dem Essen und Trinken entwickeln können. Wenn es den Eltern nicht gelingt, diese Probleme zu bewältigen, kann es sein, dass sich die Schwierigkeiten im Laufe des Lebens fortsetzen. So hat man in retrospektiven Studien zum Beispiel festgestellt, dass aggressive Kinder als Babys viel geschrien haben.
Den eigenen Rhythmus finden
Experten gehen davon aus, dass das exzessive Schreien durch verschiedene Faktoren ausgelöst und aufrecht erhalten wird: Sie suchen die Ursachen nicht nur beim Baby selbst, sondern auch bei seinen Eltern und dem Miteinander von Mutter, Vater und Kind.
Der Hintergrund: Wenn ein Baby auf die Welt kommt, muss es sich erst einmal an seine neue Umgebung gewöhnen. Babys, die exzessiv schreien, fällt es jedoch schwer, ihren Rhythmus zu finden. Tagsüber schlafen sie zu wenig, manchmal sind es nur zehn bis 15 Minuten am Stück. In den Wachphasen wirken sie deshalb häufig unzufrieden. Viele dieser Babys können nicht gut abschalten, sie reagieren empfindlich auf Ortsveränderungen, lassen sich leicht irritieren und nur schwer trösten. Darüber hinaus haben Säuglinge mit einem solch „schwierigen“ Temperament häufig Probleme, eindeutige Signale zu senden. Die Folge: Die Eltern können nicht richtig einschätzen, was ihr Kind braucht oder will. Zum Abend hin wird das Quengeln und Schreien meist immer schlimmer – und um 23 Uhr oder um Mitternacht geht’s dann plötzlich ohne Weiteres.
Durch das Schreien ruft das Kind normalerweise die Eltern heran und macht sie nachdrücklich auf seine Bedürfnisse aufmerksam. So gesehen ist das Schreien ein sehr sinnvolles „Distanzsignal“, das die Eltern alarmiert und zum Handeln motiviert. Normalerweise beruhigt sich das Baby wieder, wenn die Ursache behoben ist. Dann können sich auch die Eltern wieder beruhigen – und der Kreislauf ist geschlossen.
Beim unstillbaren Schreien sind die Eltern jedoch ständig in Alarmbereitschaft: Durch den Dauerstress steigt bei vielen Müttern der Blutdruck, sie werden leichter erregbar, einige bekommen Depressionen, ihr Selbstwertgefühl ist verletzt und sie entwickeln eine Wut auf ihr Kind.
Die Signale richtig wahrnehmen
Doch wie kann man eine misslungene Kommunikation zwischen einem Baby und seinen Eltern wieder verbessern? Experten nutzen verschiedene Techniken und Therapiemethoden, um den Eltern und ihren Babys zu helfen. Ziel ist es vor allem, die Aufmerksamkeit der Mütter und Väter zu schärfen, damit sie die Signale ihres Kindes besser wahrnehmen. Beim exzessiven Schreien heißt das vor allem zu erkennen, wann der Säugling überreizt ist und wann er wieder Schlaf braucht – das ist bei Neugeborenen nach etwa 60 bis 90 Minuten Wachzeit der Fall.
Und wie können Eltern erkennen, dass ihr Baby eigentlich schlafen will? Zum Beispiel am Händchen – wenn es schlaff herunterhängt, bedeutet das „Ich bin müde“. Übermüdung kann sich aber auch durch eine motorische Unruhe, unkoordinierte Bewegungen und eine Neigung zum Überstrecken zeigen, möglicherweise hat das Baby auch gerötete Augenränder oder es reibt sich häufig die Nase.
Therapeuten motivieren die Eltern abzuwarten und sich nur von den Aktionen des Babys leiten zu lassen. „Watch, wait, and wonder“ (Beobachten, warten und sich wundern) lautet denn auch das Motto der säuglingsgeleiteten Psychotherapie – ein Konzept, das oft schon nach wenigen Sitzungen Erfolge zeigt.
In der Beratung können Therapeuten den Eltern auch neue Varianten zeigen, wie sie ihr Kind beruhigen, schlafen legen und füttern können und wie sie Grenzen setzen können. Da die meisten Schreibabys sehr aktiv sind, ist es hilfreich, wenn die Eltern mit ihnen zusammen gemeinsame „Ruheinseln“ aufsuchen und sie schon bei den ersten Anzeichen der Müdigkeit zum Schlafen bringen. Die kritischen Schreistunden überbrücken Mütter und Väter am besten beim Spazierengehen mit einem Tragetuch oder im Kinderwagen.
Damit die Mütter nicht unter der Belastung zusammenklappen, sollten sie auch immer wieder mal an sich selbst denken – und zwar ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. Probieren Sie doch mal aus, wie es Ihnen geht, wenn Sie das Baby – wann immer es geht – dem Vater oder anderen Familienmitgliedern übergeben. Die meisten Mütter nutzen ihre „freien“ Stunden, um Schlaf nachzuholen, viele wünschen sich aber auch einfach nur mal einen Stadtbummel ohne Kind, ein Treffen mit Freundinnen oder Kolleginnen oder einen ruhigen Abend mit dem Partner. Ein kurzer Zeitabstand kann helfen, sich danach wieder umso fürsorglicher und ruhiger dem Baby zu widmen.
Hilfreiche Netz-Adressen für Eltern von Schreibabys
Gesellschaft für die seelische Gesundheit in der frühen Kindheit (GAIMH) www.gaimh.de
Dort gibt es eine Liste für Eltern mit den Adressen von Anlaufstellen bei Problemen.
www.schreibaby.de
Ein paar Tricks, wie man ein schreiendes Baby beruhigen kann und weitere Adressen von Schreiambulanzen
Autorin: Karin Hertzer
Das wichtigste ist, dass man an solchen Situationen nicht verzweifelt. Es ist mit Sicherheit nicht leicht, aber an alle „Geplagten“, alles hat ein Ende und das Großwerden ist das Schönste was man miterleben darf. Also Kopf hoch